aus: Flensburger Tageblatt, 31.7.87

K.H. Hoyer


Kontrapunktisches: 

Wachsendes Inferno in Farbe und Musik

Werke von Lutz-D. Braemer im Bamberger Haus vorgeführt…


„Rendsburg. Sie sind wieder aktuell, action-painting und große Abstraktionen, malerische Umsetzungen musikalischer Kontrapunktik, scheint es. So könnte man Lutz-D. Braemers Umsetzung von Klang und Noten in Schwünge und tönende Farben, seine neuesten Bilder, als Hommage à Theodor Werner verstehen, dem Altmeister der ungegenständlichen Malerei und Schöpfer des großen Wandbildes in der Musikhochschule West-Berlins. Im Bamberger Haus, Rendsburg, sind Bilder von Braemer ausgestellt.

Doch der grafische Duktus des Künstlers ist ein anderer. Sein Schaffen ist seit 1983 ganz auf Staffeleibilder und Performances ausgerichtet. Die sehr großen, schwungvollen, meist in dunkel-violetten Tönen gehaltenen Ölbilder sind verschlüsselte Aussagen ganz individueller Art; surreale, torsierte Gestalten, kosmische Formengebilde, die Angst einflößen, die ein dumpfes Grollen und Schreckenstöne von sich zu geben scheinen.

Titel geben Denkanstöße wie „Infernah“ (dem Inferno nahe?) oder - noch schillernder und vieldeutiger - „ma Pandorra ma“ (Büchse der Pandorra? Pan? Andorra?). In Öl auf Jute gemalt, dreiteilig, ist dieses Bild eigentlich eine Huldigung an die Schönheit eines kreisenden blau-violetten Kosmos’ und… auf die heute wieder aktuellen Abstrakten.

Braemer (Jahrgang 1941) hat zwei Jahrzehnte in Schleswig-Holstein gewirkt. Bald nach dem Studium an der Muthesius-Werkkunstschule erhielt er Aufträge für die Kunst am Bau. Es sei an das 16 Meter lange Wandbild „Kosmologie“ in Schönwalde erinnert, an das riesige Wandbild „Großes Bio“ für das Foyer der Biologischen Fakultät der Universität Kiel in den Jahren 1975—80. Aber „plötzlich stieg ich da aus …“ und Braemer malte fortan nur Staffeleibilder in seinem Hamburger Atelier (darum „Hamburger Bilder“).

Er siedelte sich zunächst zwischen Max Ernst und Richard Ölze an, halbabstrakt schimärenhaft, in Grün- und Sepiatönen, wobei er mythologische, altdeutsche und barocke Motivationen bevorzugte. „Erzählung in van Dycke“ ist im braunen Galerieton gehalten. Neben „Orpheus und Eurydike“, einem sehr musikalischen Schattenspiel, steht die „Blaue Verkündigung“ in der altdeutschen Farbigkeit eines Albrecht Altdorfers. Überhaupt zeichnet eine altmeisterliche Lasurtechnik diese Tafeln aus, vor allem im Bild „Allegorie“ mit einer (so scheint es dem Rezensenten) Ausschnitt-Verwandlung eines Hieronymus-Bosch-Bildes. Alle diese Bilder entstanden in den Jahren 1980/87 und wurden immer wieder überarbeitet. 

Und nun die neuesten, die großformatigen Werke von vehementer Dynamik, die Vorgänge des Entstehens und Vergehens zeigen. Sie präsentieren eine künstlerische Aussage in düsteren Farben, die betroffen machen und Angst auslösen könnte. Aufschluss gab Braemers Musik: in seiner virtuosen Darstellung am Flügel (die man am Eröffnungstag der Ausstellung nicht ganz treffend als „Performance“ ankündigte) zauberte der Künstler eine den Bildern adäquate Ton-Welt herbei. Mit den Knöcheln, mit der Handfläche, mit kleinen Schlegel direkt auf den Saiten, auf der Tastatur erzeugte er ein „nahendes Inferno“ mit schrillenden, schrammenden Tönen, bis zum großen Donner, plötzlich in klassischen Sentenzen auslaufend. Dazwischen gab es harmonische Passagen. 

Beklemmend und und atemlos war das Pochen der Zeit zu hören, aus Free-Jazz entwickelt, der Pendelschlag, ein dumpfes tok-tok-tok. vermischt mit hellen Disharmonien; das waren Herztöne, Zeittöne, Töne unserer Zeit, noch unheimlicher, wenn menschliche Urlaute sich daruntermischten.

Für die Anwesenden war das e in besonderer Beitrag zum Schleswig-Holsteinischen Musikfestival, der nicht im offiziellen Programm stand - und etwas verband: Bildende Kunst in Farben und Formen, die Musik wurden und Musik, die bildhaft wurde. Eine Anregung für das Mammut-Musik-Festival in unserem Lande. …“


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